Mein 836.
Mann hieß Werner. Ich lernte ihn in einem der SzenecafÈs kennen, in denen ich zu jener
Zeit Kirschsaft trinken ging. Werner war mir gleich aufgefallen. In seiner hautengen
gelben Satinhose hatte er etwas vom frühen John Travolta. Sobald ich das CafÈ betrat,
begann er seine Show. Er tat es nur für mich. Er sprang auf den Tresen, wackelte
ausladend mit den Hüften, verdrehte wie in Exstase die Augen und ließ sich, nachdem er
eine Weile getanzt hatte, ins Spagat fallen. Werner war der pure Sex. Eines schönen Tages
fragte er mich nach Feuer. Wir kamen ins Gespräch. Die Tatsache, daß er mehrere
zusammenhängende Sätze formulieren konnte, überraschte mich gewaltig. OK, man konnte
mit ihm keine Diskurse über die aktuelle Jelinek-Inszenierung von Einar Schleef führen,
aber mit welchem Mann kann man das schon. Werner Qualitäten jedenfalls lagen anderswo.
Er erzählte mir von seinem Job als PR-Texter. Tag für
Tag verfaßte er Texte über Glasrecycling, Tuffi-Milchprodukte oder Genitalwarzencremes.
Ich hing an seinen Lippen und dachte an wunderbar-poetische Liebesbriefe, die ein
Sprachkünstler wie er mir in Zukunft verehren würde. Stets in Kombination mit üppigen
Blumensträußen, riesigen Pralinenschachteln und der ein oder anderen Überraschung aus
Edelmetall versteht sich. Doch während meine Fantasie noch einem ansehnlichen
Araberhengst gleich mit mir durchgaloppierte, beging Werner einen verhängnisvollen
Verbal-Fehler. "Ich brauche halt meine Freiheit", waren glaube ich seine Worte.
Sie drangen wie durch einen Nebel zu
mir. Meine Beine wurden schwach und in meinem Magen begann eine Revolution. Ich versuchte
die Übelkeit zu unterdrücken, doch sie kam zu plötzlich. In einem riesigen Schwall
ergoß sich der halbverdaute Kirschsaft zur Hälfte auf den silbernen Bistrotisch des
SzenecafÈs, zur Hälfte auf Werners hautenge gelbe Satinhose. Seine Gesichtzüge waren
bereits entgleist, als ich zu einer Erklärung ansetzte: "Es ist eine allergische
Reaktion. Immer wenn ich das Wort 'Freiheit' aus einem Männermund höre, muß ich
kotzen", lächelte ich. Werner verließ das Lokal ohne ein Wort. Wir haben uns nie
wieder gesehen. |